02.08.2023
Spoiler: Die fehlenden Fotoobjekte der letzten Tage habe ich heute mit viel Text kompensiert.
Schon wieder Mittwoch. Heute bin ich bereits drei Wochen hier in Vancouver. Die Zeit verfliegt. Aber das Beste ist: Ich muss nicht nach Hause. Zwei bis drei Wochen sind normalerweise die übliche Reisezeit. Dann ist Schluss – zurück nach Hause, ab an die Arbeit. Aber nicht dieses Mal. Hier warten noch 6,5 (!!) Wochen auf mich.
Ich habe hier schon so etwas wie Routine entwickelt und jeden Tag gibt es mehr Dinge, an die ich mich gewöhne: Der Mann, der jeden Morgen mit der Bibel in der Hand neben der Fahrradannahmestelle steht und laut Verse zitiert. Dienstags ist Fußball im Templeton Park, das Hunnybee Bruncheonette schließt um 16 Uhr. Ab dem „Be Kind“-Schild sind es nur noch 5 Minuten nach Hause. Mittwochs gehe ich zum OpenAir Yoga am Canda Place. Morgens fahre ich mit der halben Nachbarschaft mit dem Fahrrad in die Innenstadt. Nach der Schule noch schnell zum Supermarkt oder auf einen Kaffee zum Union Market. Nach Hause kommen, kurz ausruhen und dann hier auf der Terrasse lernen und zwischendurch ein bisschen mit Max quatschen. Ich habe schon „meinen“ Schneider, „mein“ Cafe, kenne den besten Weg zur Schule und weiß genau, wann ich an der Ampel losradeln kann, ohne dass sie schon grün ist.
Dafür habe ich aber auch „Pflichten“. Einkaufen, Wäsche waschen, putzen, Müll rausbringen. Wecker, Schule und Hausaufgaben. Mit was ich immer noch schwer klarkomme und mich immer noch sehr betroffen macht, sind die Obdachlosen und Drogenabhängigen, die man überall in der Stadt sieht. Für die Einwohner gehört das zum Stadtbild. Sie begegnen ihnen mit Respekt und es scheint sie nicht abzuschrecken. Alles in allem fühle ich mich in der Stadt aber sehr sicher.
Bei manchen Dingen hier in Kanada habe ich noch so meine Zweifel. Zum Beispiel die genauen Vorfahrtsregeln und was die komischen Zeichen bedeuten, die die Rennradfahrer machen. Ich halte in solchen Momenten lieber mal etwas mehr Abstand.
Ich bin auf jeden Fall wirklich (!!) froh über mein Airbnb. Die Horrorgeschichten, die ich hier über die Unterkünfte von vielen anderen aus meiner Klasse gehört habe, sind wirklich sehr abschreckend. Viele haben ein sogenanntes Homestay oder wohnen in einer Studenten-WG. Sie haben ihre Unterkunft direkt über eine Agentur oder die Schule gebucht. Elly und ihr Mann zum Beispiel wohnen hier mit dem Vermieter in einer Zweizimmerwohnung. Zum Schlafzimmer gibt es keine Tür, nur einen Vorhang. Wenn sie ins Bad wollen, müssen sie durch das Schlafzimmer des Vermieters gehen. Privatsphäre? Fehlanzeige! Eine andere Studentin musste letzte Woche 1,5 Stunden vor der WG-Tür warten, weil eine andere Mitbewohnerin den Türcode geändert hatte und niemand davon wusste. Darüber könnte ich jetzt wirklich einen ganzen Roman schreiben. Natürlich sind diese Unterkünfte viel billiger als meine Zweizimmerwohnung mit Terrasse, Balkon, netten Vermietern und einem Fahrrad. Aber ich bin jeden Tag dankbar, dass ich diese Art von Unterkunft gewählt habe.
Die seltsamsten Gedanken kommen einem, wenn man spazieren geht. So habe ich am Sonntag, als ich nach meiner Sky Train Tour nach Hause gelaufen bin, darüber nachgedacht, wann ich das letzte Mal mit Messer und Gabel gegessen habe. Also mit beidem gleichzeitig. Also zusammen. Also linke Hand Gabel und rechte Hand Messer. Das war vor 3,5 Wochen. In der Sparkassen-Kantine. Hier snacke ich nur. Ein Sandwich auf die Hand hier, eine Banane da, schnell einen Nussriegel in den Mund, was von der Frischetheke für zu Hause oder Gemüsesticks in Joghurtsoße gedippt. Leider alles in Plastik verpackt. Ungesund lebe ich hier nicht. Das überall verfügbare Angebot an allerlei Leckereien macht nur einen Restaurantbesuch oder aufwendiges Kochen überflüssig. Kleine Info am Rande: Wie ich feststellen musste, macht sich das leider auch auf der Kreditkartenabrechnung bemerkbar. Aber lange Rede kurzer Sinn: Es war an der Zeit, mal wieder zivilisiert zu essen.
Ein paar aus der Klasse und ich hatten gestern Karten für das Openair-Kino im Stanley Park. Die perfekte Gelegenheit also, um vorher noch nett essen zu gehen. Verschlagen hat es uns dann zum Inder an der English Bay Bombay Kitchen On Denman – Authentic Indian Cuisine in Vancouver . Sehr sehr fein. Und das Beste: Ich war mit Leuten unterwegs, die ihr Essen gerne teilen. So konnte ich mich für den Preis von einem Gericht durch die halbe Speisekarte futtern. Ich liebs. Für alle, die es interessiert: Ich habe das zivilisierte Essen nicht verlernt. 😉
Das Kino war auch ganz nett. Das Schöne an Vancouver ist, dass es so viele kostenlose Veranstaltungen gibt. So konnte man sich den Film anschauen, ohne Eintritt zu bezahlen, oder man kauft sich wie wir Tickets und bekommt dafür einen festen Sitzplatz. Leider war es gestern Abend richtig kalt, so dass meine Klassenkameraden nach und nach nach Hause gegangen sind. Ich habe es mit zwei anderen Outdoor-Profis wenigstens bis kurz vor Schluss geschafft. Dann war es uns aber auch zu kalt und da der Film nicht wirklich Top Gun Status hatte, haben wir das Ende geskippt und sind nach Hause geradelt.
In der Schule geht es voran. Wir haben seit dieser Woche eine neue Lehrerin in der regulären Klasse. Denise, eine Irin, die sehr viel Wert auf pro·nun·ci·a·tion (prəˌnənsēˈāSH(ə)n) legt. In der Mittagsklasse haben wir diese Woche u. a. das Thema „Erläutern von Sach- und Zahleninformationen“. Eigentlich ganz einfach. Schwierig wird es nur, wenn Sarah, unsere Lehrerin, das FAX als Beispiel für veraltete und überholte Technik nimmt und ich mal ganz deutlich intervenieren muss, dass wir bei der Sparkasse im guten alten Pforzheim natürlich noch Faxgeräte haben und ich auch für andere Dinge des täglichen Lebens ein Faxgerät brauche. Alle, wirklich alle haben mich angeguckt, als käme ich vom Mond. Leute aus Marokko, Brasilien, Spanien, Chile, der Schweiz, Japan haben sich kaputtgelacht. Außer Nanami aus Frankreich. Sie sprang mir zur Seite und sagte: Wir haben auch ein Fax im Büro. Aaaaber: Das brauchen wir nur für die deutsche Firma, mit der wir zusammenarbeiten. Beste Werbung für das Digitalisierungsland Deutschland.
So, genug für heute. Die Couch wartet. Der Sohn meiner Vermieter kam grad herunter (es ist 21:30 Uhr, er trägt noch Sonnenbrille): Eeeeyyyy, whats up? My parents are not at home. Friends come around. Yeah. It could get louder… Party hart. Ich werde mal vorsichtshalber meine Ohropax neben dem Bett platzieren.
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